Kinder sind (zu) teuer

Kritisches Hinterfragen der Behauptung, dass Kinder zu haben teuer sei und einer der Schlüsselfaktoren, weshalb viele Familien nur noch wenige Kinder bekommen.

Von T. A. Lumen

6/20/20255 min lesen

a little girl sitting on a couch holding money
a little girl sitting on a couch holding money

Der moderne Mythos der teuren Kinder: Wofür wir wirklich zahlen

In vielen westlichen Ländern wird die Entscheidung der Familienplanung zunehmend unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet. Schlagzeilen verkünden häufig, dass ein Kind mehr als 300.000 US-Dollar koste. Kein Wunder, dass dies junge Paare verunsichert und viele davon abhält, ihre Familien zu vergrößern. Aber wie genau sind diese Zahlen? Und noch wichtiger: Was genau messen sie eigentlich?

Problematische Daten: Geschätzte Zahlen spiegeln oft nicht die Realität wider

Ein Großteil der sogenannten "Kosten" für Kinder bezieht sich nicht auf Nahrung, Kleidung oder Unterkunft, sondern auf entgangene, berufliche Chancen – insbesondere für Mütter. Oft wird dabei der Einkommensverlust einkalkuliert, wenn ein Elternteil (meist die Mutter) aus dem Vollzeitjob aussteigt.

Doch klar gesagt: Es handelt sich um Schätzungen. Es gibt keinen realen monatlichen Geldabfluss, der bezahlt werden muss. Diese berechneten Zahlen entstehen am Schreibtisch, basierend auf hypothetischen Szenarien – oft völlig losgelöst von der Lebensrealität der meisten Familien.

Und genau hier liegt das Kernproblem: Diese Berechnungen gehen davon aus, dass jeder Erwachsene die Karriereleiter erklimmt und eine florierende "Karriere" aufs Spiel setzt, wenn Kinder ins Spiel kommen.

Die erste Lüge: Karriere vs. Job

Hier liegt das Paradoxon: Der Begriff "Karriere" wurde verzerrt. Während er langfristigen Aufstieg, Prestige und individuelle Leistung suggeriert, haben die meisten Menschen – ob Männer oder Frauen – keine Karrieren, sondern Jobs. Sie wechseln von einer Stelle zur nächsten, oft in unterschiedlichen Unternehmen, ohne langfristig soziales Kapital oder unersetzliches Fachwissen aufzubauen.

Sie sind austauschbar. Ihre Rollen sind zwar relevant, aber selten Teil eines größeren innovativen oder führenden Gesamtbildes.

Wenn jemand nicht gerade in der Wissenschaft, Forschung, als Unternehmer oder mit einer Marke tätig ist, ist die Vorstellung, Kindererziehung sei ein "Karriereopfer", bestenfalls irreführend.

Doppelmoral: Mutterschaft vs. Selbstverwirklichung

Eine eklatante gesellschaftliche Doppelmoral besteht darin, dass ein Sabbatical zum Reisen, zur Burnout-Prävention oder zur Selbstfindung als mutig und bewusst gefeiert wird. Doch wenn eine Frau sich entscheidet, ein paar Jahre in den Familienaufbau zu investieren, wird das oft als rückwärtsgewandt oder antifeministisch abgetan.

Realitätscheck: Klug planen, nachhaltig leben

Kinder zu haben ist nicht automatisch teuer. Teuer wird es erst, wenn Konsumdenken und Lebensstilinflation den Maßstab setzen.

Aus meiner eigenen Erfahrung in der Schweiz – einem Hochpreisland mit minimaler staatlicher Familienunterstützung – kann ich sagen: Die tatsächlichen Ausgaben können erstaunlich niedrig sein.

Für unser erstes Kind gaben wir insgesamt etwa CHF 1´000 CHF aus: für Bett, Kinderwagen, Wickeltisch, Badewanne und weitere Grundausstattung. Für unser zweites Kind waren es weniger als CHF 200 CHF, da viele Dinge wiederverwendet oder gebraucht gekauft wurden.

Warum mehr ausgeben? Kinder wachsen schnell aus Kleidung und Spielsachen heraus. Der Secondhand-Markt ist groß, nachhaltig und preiswert. Familien passen sich an. Gemeinschaften helfen.

Oft übersehene Kosten: Fehlende Unterstützung

Ja, es gibt Kosten – aber nicht immer finanzieller Art. Einer der am meisten unterschätzten Gründe, warum Kinder heute als teuer empfunden werden, ist das Verschwinden des generationenübergreifenden Netzes zur Unterstützung.

Anders als in den 70ern, 80ern oder 90ern, als die erweitere Familie eine aktive Rolle in der Kinderbetreuung spielte, sind Eltern heute meist auf sich allein gestellt. Alle arbeiten. Alle müssen arbeiten. Oma ist under der Woche nicht (mehr) zu Hause. Opa arbeitet bis zur Rente oder darüber hinaus. Tanten, Onkel, Schwiegereltern – alle sind beruflich ausgelastet.

Wenn Familien sagen: "Kinderbetreuung ist zu teuer", meinen sie oft: "Ich bin allein und habe keine zuverlässige Alternative."

Ein Einkommen reicht oft nicht mehr für Wohnung, Auto und Lebenshaltung – besonders seit der Inflation nach Corona.

Viele Familienmitglieder würden gern helfen, aber der wirtschaftliche Druck, durchgehend berufstätig zu bleiben, verhindert das. So zerbricht das generationenübergreifende Netz.

Reale Monatsausgaben in der Schweiz (Hochpreisland)

Hier eine realistische Aufschlüsselung der monatlichen Grundkosten pro Kind in der Schweiz (Kanton Zürich), inklusive Essen, Wohnraum (ein zusätzliches Zimmer), Krankenversicherung und Kleidung:

  • Alter 1–3: 350–600 CHF/Monat

  • Alter 4–6: 505–570 CHF/Monat

  • Alter 7–9: 595 CHF/Monat

  • Alter 10–13: 700 CHF/Monat

  • Alter 14–17: 850 CHF/Monat

Auch kleinere Extrakosten – etwa für eine Spielgruppe einmal pro Woche – liegen bei etwa 300–500 CHF für sechs Monate (50–85 CHF/Monat) – weit entfernt vom Schreckgespenst hoher Ausgaben.

Hinzu kommt: Die Schweiz zahlt für jedes Kind monatlich 215–268 CHF Kinderzulage – je nach Alter, Ausbildungsstand und Kanton. Berücksichtigt man diese staatliche Unterstützung, sinken die effektiven Kosten nochmals deutlich.

Kind vs. Haustier: Ein aufschlussreicher Vergleich

Vergleichen wir das mit einem Haustier:

🐶 Hund (monatlich in der Schweiz):

  • Futter: 40–100 CHF

  • Tierarzt/Impfungen: 10–30 CHF

  • Parasitenprophylaxe: 5–20 CHF

  • Pflege/Hundesitter/Training: 50–200 CHF

    Gesamt: 105–350 CHF/Monat

🐱 Katze (monatlich in der Schweiz):

  • Futter und Streu: 30–90 CHF

  • Tierarzt: 10–40 CHF

  • Sonstiges: 20–80 CHF

    Gesamt: 60–270 CHF/Monat

Gerade in den ersten Jahren – ohne externe Kinderbetreuung – kostet ein Kind nicht viel mehr als ein mittel-grosser Hund. Und dennoch stellt niemand die Frage, ob wir uns Haustiere "leisten können". Wir schätzen ihren Wert. Wir machen Platz für sie. Aber irgendwie erzählt man uns, für Kinder sei kein Platz da.

Die zweite Lüge: Geburtenrückgang vs. gesellschaftliches Narrativ

Politik und Medien erklären sinkende Geburtenraten oft mit den hohen Kosten für Kinder. Wie gezeigt: Das stimmt so nicht.

Ein weiteres Argument lautet: "Die Menschen wollen keine großen Familien mehr." Auch das ist datenwidrig. Wenn diese These stimmen würde, müsste die Zahl der Ein-Kind-Familien deutlich gestiegen sein. Ist sie aber nicht. Die meisten Eltern haben immer noch zwei oder drei Kinder – mehr als die statistisch erforderlichen 2,1 Kinder pro Frau zur Erhaltung einer Population.

Was hat sich also verändert?

Immer mehr Menschen bekommen überhaupt keine Kinder. Rund 33 % der Frauen zwischen 25 und 40 Jahren sind inzwischen kinderlos. Einige freiwillig. Andere wegen Fruchtbarkeitsproblemen, fehlendem Partner oder weil sie zu spät mit der Familienplanung anfangen. Für viele ist es ungewollt – und schmerzhaft.

Das ist das wahre Problem. Es geht nicht darum, dass Menschen keine Kinder wollen. Sondern darum, dass immer Menschen gar keine Kinder mehr bekommen. Freiwillig oder unfreiwillig.

Für jene, die mit Unfruchtbarkeit oder ungewollter Kinderlosigkeit kämpfen, ist das eine stille Tragödie, die in einer Gesellschaft, die Karrierismus und Individualismus unter den Begriffen "Selbstverwirklichung" und "Feminismus" feiert, oft unter den Teppich gekehrt wird.

Man muss sich fragen: Ist es wirklich hilfreich, einer ganzen Generation einzureden, Kinder seien zu teuer und Bildung und Karriere hätten Vorrang – nur um dann zu merken, dass Biologie (und der Zeitaufwand für die Partnersuche für eine Familiengründung) nicht verhandelbar sind?

Es ist kein Geheimnis, dass Menschen mit Kindern und stabilen Beziehungen oft länger und gesünder leben. Und doch hält sich das Narrativ: Kinder sind eine Last, ein Kostenfaktor, ein Verzicht.

So wie es aktuell aussieht, droht der westlichen Welt keine Krise durch Kriege, Seuchen oder Hungersnöte – sondern eine Krise der leeren Kinderzimmer. Eine Folge eines Narrativs, das so oft wiederholt wurde, dass es als Wahrheit gilt.

Und die Gesellschaft wird teuer dafür zahlen: Mangel an Pflegepersonal, steigende Gesundheitskosten (nur noch für Vermögende bezahlbar), marode Infrastruktur durch fehlende Fachkräfte. Dazu sinkender Konsum, weniger Steuerzahler, unterfinanzierte Sozialsysteme. All das sind direkte Folgen einer schrumpfenden Bevölkerung.

Mehr zu diesen sehr realen, sehr wahrscheinlichen Szenarien folgt in einem weiteren Beitrag.

Das Gesamtbild

Wenn wir Kinder weiter mit Verlust – von Geld, Karriere, Freiheit – gleichsetzen, übersehen wir das Wesentliche: Kinder zu haben kann eine der erfüllendsten, bedeutungsvollsten und transformierendsten Erfahrungen im Leben sein. Zudem gibt es auch sozial und wirtschaftlich Gründe, weshalb Kinder zu haben sinnvoll und eine "Bereicherung" für die Gesellschaft sein kann.

Die eigentliche Frage lautet daher nicht:

"Können wir uns Kinder leisten?"

Sondern:

"Was für eine Gesellschaft erzählt uns, dass wir es nicht können?"

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